Von wegen „Billigflagge“

Liberia, Antigua und Barbuda, Marshallinseln, Malta, Portugal – die von deutschen Reedereien genutzten ausländischen Flaggen landen bei offiziellen Rankings auf den vorderen Rängen.

Was macht ein Flaggenstaat?

Nach dem Seerechtsübereinkommen (SRÜ) der Vereinten Nationen haben Schiffe die Staatszugehörigkeit des Staates, dessen Flagge sie führen: Auf See hat der Flaggenstaat die Hoheitsgewalt, seine Rechtsordnung gilt. Für die Kontrolle der Einhaltung von internationalen Standards ist zunächst ebenfalls in erster Linie der Flaggenstaat verantwortlich. Das betrifft insbesondere Sicherheit, Umweltschutz und die Arbeitsbedingungen an Bord, aber auch die Qualifikation des eingesetzten Personals. Außerdem muss der Flaggenstaat Untersuchungen einleiten, sobald eines „seiner“ Schiffe an einem Unfall mit schweren Verletzungen eines Menschen oder schweren Schäden an Schiff oder Umwelt beteiligt ist. Für Reedereien ist ein einwandfreier Ruf und eine in den verschiedenen relevanten Statistiken verlässlich gut eingestufte Flagge entscheidend und ein ganz wesentliches Kriterium bei der Flaggenwahl: Denn „schwarze Schafe“ bzw. Schiffe, die die Flagge eines weniger gut abschneidenden Flaggenstaates führen, werden im Rahmen von Hafenstaatkontrollen deutlich häufiger und gründlicher untersucht. Das kostet Zeit und Geld und bedeutet ein schlechtes Rating der Schiffe und ggf. auch höhere Versicherungskosten und niedrigere Charterraten. Zudem soll die jeweilige Flaggenstaatsverwaltung aus Sicht der Reedereien möglichst unbürokratisch, zuverlässig und serviceorientiert arbeiten.

Wozu dienen Hafenstaatkontrollen?

Auch in den Häfen wird regelmäßig kontrolliert, ob anlaufende Schiffe den international vorgeschriebenen Standards entsprechen. Daten dazu werden im Rahmen von regionalen Hafenstaatkontrollregimen gebündelt erhoben und Kriterien für die Kontrollen festgelegt. Für Europa und den Bereich des Nordatlantiks ist das Paris Memorandum of Understanding (Paris MoU) maßgeblich, in dem 25 europäische Hafenstaaten sowie Kanada und Russland mitarbeiten und Informationen austauschen. Die Behörden führen dabei pro Jahr mehr als 10.000 Inspektionen nach einem risikobasierten Ansatz durch, die Aufschluss über die Arbeit von Flaggenstaaten und Klassifikationsgesellschaften geben. Zwar wiesen in den letzten Jahren oft etwa die Hälfte der inspizierten Schiffe Mängel auf, doch nur bei einem ganz kleinen Teil, etwa jedem 30. Schiff, waren sie so gravierend, dass die Weiterfahrt zunächst untersagt wurde. Zu berücksichtigen ist dabei auch, dass Flaggenstaaten und Reedereien mit einem schlechten „track record“ deutlich häufiger kontrolliert werden als andere.

Das jährliche Ranking in diesem Bereich unterscheidet zwischen „White“, „Grey“ und „Black“ List. Um den Listenplatz zu errechnen, wird über einen Zeitraum von drei Jahren die Anzahl der Festhaltungen in Bezug zur Anzahl der Inspektionen gesetzt. Die Weiße Liste enthält Flaggenstaaten, auf deren Schiffen es in der Regel nichts oder nur sehr wenig zu beanstanden gibt. Die größten Flaggenstaaten Liberia, Marshall-Inseln, Hongkong, Singapur und Malta landeten zuletzt in den Top-20. Von „Billigflagge“ kann also keine Rede sein, zumindest was die Flaggenführung deutscher Reedereien angeht.

Wo sind die Schiffe deutscher Eigner registriert und welche Flagge führen sie?

Die Schiffe deutscher Reedereien sind ganz überwiegend in deutschen Seeschiffsregistern registriert, sie führen aber nur zu einem kleineren Teil die deutsche Flagge und fahren ansonsten unter verschiedenen außereuropäischen Qualitätsflaggen – insbesondere unter der Flagge von Antigua und Barbuda sowie Liberia. Fast die Hälfte der Schiffe der deutschen Flotte führt mittlerweile eine europäische Flagge, insbesondere von Portugal, Zypern oder Malta. 

All diese Flaggen gehören zu den international bei Hafenstaatkontrollen besonders gut abschneidenden Flaggen und stehen etwa beim Paris MoU auf der Weißen Liste. Fast die Hälfte der Schiffe der deutschen Handelsflotte fährt unter einer Flagge eines EU-Landes.

Eine aktuelle detaillierte Auflistung finden Sie auf unter der Rubrik „Daten und Fakten“ auf der VDR-Website.

Warum nutzen deutsche Reedereien ausländische Flaggen?

Schifffahrt ist ein globales Geschäft. Viele Schiffe, die von deutschen Reedereien gemanagt werden, laufen nie einen deutschen Hafen an, weil sie beispielsweise im innerasiatischen Verkehr oder auf Routen zwischen Asien – Nordamerika o.ä. eingesetzt werden. Für die Schifffahrtsunternehmen kommt es darauf an, im internationalen Wettbewerb bestehen – eine flexible und serviceorientierte Flaggenstaatverwaltung ist hierbei ein wichtiger Aspekt, ein anderer wichtiger Aspekt sind die Personalkosten und Vorgaben für die Nationalität der Crew. In der Vergangenheit war die deutsche Flagge mit erheblichen Zusatzkosten etwa auf Personalseite verbunden, es gab zusätzliche (teils auch bauliche) Anforderungen an Schiffe unter deutscher Flagge und die Flaggenstaatsverwaltung agierte teilweise sehr bürokratisch. Hier haben sich in den letzten Jahren viele Bedingungen ganz erheblich verbessert, u.a. durch die Reduzierung von Zuständigkeiten, die Vereinfachung und stärker kundenorientierte Gestaltung von Verwaltungsprozessen und ganz besonders auch durch eine wirksamere Förderung zur Kompensation der Mehrkosten der Beschäftigung von deutschen und europäischen Seeleuten am Standort. Dies hat dazu beigetragen, dass sich der Anteil der Tonnage unter deutscher Flagge trotz langer Krise zuletzt deutlich stabilisiert hat und dass Reedereien vereinzelt auch wieder Schiffe zurückgeflaggt haben.